Gedanken eines Obdachlosen
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Es fällt mir schwer,
einer Gesellschaft zu vertrauen,
die mich links liegen liess,
als ich am Boden lag.
Statt ausgestreckten Händen sah ich nur,
vorbeihuschende Beine und das Tag für Tag.
Ihr übersaht mich regelmäßig und konstant
wechseltet oft sogar die Straßenseite.
Nichts, was mich mit Euch verband,
den Armen und euch reiche Leute.
Die warmen Worte, die ihr mir jetzt spendet,
die Lebensmittel und das bisschen Geld
wisst ihr für euch geschickt als PR zu verwenden
weil eure Kamera ja stets genau drauf hält.
Fürs Foto musste ich posieren
das mich mit euch zusammen zeigt.
Ich lächelte, doch tat ich mich genieren
und gerne hätt ich die Meinung euch gegeigt.
Es ärgert mich, wie gut mancher sich fühlt,
der sich zuvor niemals sozial engagierte,
der nie Gedanken an uns Arme verschwand,
während er durch seinen Alltag flanierte.
Der jetzt aber die Krise als Sprungbrett nutzt,
um sich als Gutmensch zu profilieren.
In Wahrheit jedoch handelt aus Eigennutz
und dem Kalkül, davon zu profitieren.
Der dafür sorgt, dass alls seine Taten
im Internet zu finden sind, an prominenter Stelle
akribisch dokumentiert, beworben und geteilt
so sammelt man zumindest die Sozial-Rendite ein – für alle Fälle.
Denn nach der Krise geht das Leben schließlich weiter
und der Fokus verschiebt sich oftmals wieder schnell
weg von der Hilfsbereitschaft hin zur Karriereleiter.
Man will ja einen guten Platz auf dem Lebens-Karussel.
Was lernen wir aus der Krise, wenn diese vorüber ist?
Wer bleibt dann noch stehen und wer wird gehen?
Wie läuft es dann mit der Solidarität?
Wir werden es alle sehen…
– I. D. R. im März 2020–