Fakten und Vorurteile
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Penner, Berber, Obdachloser – es gibt viele Namen, für Menschen, die kein eigenes Dach über dem Kopf haben. Manche sind für nicht Betroffene leicht dahin gesagt, aber äußerst verletztend für jene, denen sie gelten. In der Gesellschaft haben es Wohnungslose und andere finanziell und sozial Abgehängte oft schwer und müssen ertragen, dass viele achtlos an ihnen vorbei gehen und sie nicht mehr als Person gesehen werden. Obwohl dies auf der einen Seite oft sicher auch gewünscht ist – weil man sich seiner Situation schämt und am liebsten anonym in der Masse verkriechen möchte – ist es auf der anderen Seite auch negativ für das eigene Selbstwertgefühl und den Glauben daran, dass sich die Situation wieder verbessert. Während die Kontakte und Brücken ins alte Leben schwinden, sehen sich Wohnungslose mit vielen Vorurteilen und gängigen Klischees konfrontiert, die das negative Bild verstärken, ohne dass die meisten sie hinterfragen. Zu den gängigsten Vorurteilen zählen die folgenden:
Dass Obdachlose nicht arbeiten wollen lässt sich nicht verallgemeinern. Vielmehr ist es oft so, dass sie gar keine Chance auf einen richtigen Job haben – eben weil sie sich in der Situation befinden, in der sie gerade sind. Dazu kommt, dass sich ein Leben auf der Straße natürlich auf die Gesundheit und Psyche auswirken und der Griff zu abhängigmachenden Genussmitteln oft primär ein Mittel zum Zweck ist, um die Situation überhaupt ertragen zu können und die ganze Härte abgedämpfter zu spüren.
Vorhandene Arbeitsangebote sind mitunter zudem recht würdelos und stumpfsinnig – wie Puzzleteile zählen, oder Laub zusammenkehren – was das Selbstwertgefühl nicht gerade hebt. Während viele Vereine, Initiativen und andere karitative wie kirchliche Einrichtungen Fördergelder beantragen können, weil sie entsprechende Arbeitsangebote vorhält, ist auf der andere Seite nicht viel Weiterentwicklungspotenzial bei jeglichen Stellen dieser Art zu erwarten – und rechtlich sogar so gewollt. Ein entsprechender Passus findet sich im Sozialgesetzbuch (SGB).
Die Gründe für Wohnungslosigkeit können ganz unterschiedlich sein, wobei oft mehrere negative Faktoren zusammenkommen. Zu den klassischen Treibern, die zu Wohnungslosigkeit führen, zählen der Jobverlust, Trennung, Trauer, Krankheit und Armut. Auf der anderen Seite können aber auch Unfälle, Naturkatastrophen und andere Umstände zum Verlust der eigenen vier Wände führen. Die Corona-Krise zeigt aktuell deutlich, wie schnell Menschen in eine unvorhergesehe Notlage geraten können.
Die wenigsten wählen ein Leben auf der Straße aus freien Stücken, wie Diogenes. Manchmal ziehen sie dieses auch nur deswegen vor, da ihnen ein zugewiesenes Bett in einer Notunterkunft – wo Mehrbettzimmer die Regel sind und die verschiedensten Charaktäre zusammengewürfelt werden, ohne dass man sich gut aus dem Weg gehen kann – noch unangenehmer ist. Solidarität ist nicht zu erwarten und Diebstahl und Gewalt in derartigen Einrichtungen keine Seltenheit. Auf der Straße hat man zudem die Möglichkeit, sich einen ruhigeren Platz zu suchen und für sich alleine zu sein, während dies in einer Notunterkunft nahezu unmöglich ist. Es ist auch nicht so, dass alle Wohnungslosen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Es gibt immer Menschen, die durch sämtliche soziale Raster fallen oder denen durch ihre geografische Herkunft oder ihren Aufenthaltsstatus keine entsprechende Unterstützung zusteht.
Es trifft nicht zu, dass jeder mindestens Anspruch auf Hartz IV hat. Etliche Menschen fallen durchs Raster und können keine Sozialleistungen beanspruchen, wie beispielsweise nicht anerkannte Flüchtlinge. Dazu kommt, dass der Bezug von Sozialleistungen an Auflagen gekoppelt ist, wie eine Meldeadresse.
Wohnungs- und Obdachlose lassen sich nicht über einen Kamm scharen, da jeder seine eigene, ganz individuelle Geschichte mitbringt. Auch wenn Spenden in Alkohol oder andere Genuss- oder Rauschmittel investiert werden, steht es einem nicht zu, darüber zu urteilen. Das Leben auf der Straße ist hart und manchmal lässt es sich vielleicht nur dadurch ertragen, dass man die Gefühle und Empfindungen künstlich dämpft. Auf der anderen Seite gibt es auch Wohnungs- und Obdachlose, die ganz bewusst keine Genuss- und Rauschmittel konsumieren und ihre Spendengelder insofern auch nicht dafür aufwenden.
Es ist nicht so, dass vorhandene Angebote auch automatisch von allen Menschen der Zielklientel genutzt werden können. Vielmehr müssen oft erst entsprechende Auflagen erfüllt sein. Dies kann unter anderem eine Meldeadresse oder ein nachgewiesener Anspruch auf Sozialleistungen sein. Auch der Zugang zu Arbeitsangeboten ist meist an Auflagen gekoppelt.
Dagegen sprechen diverse Geschichten von Wohnungs- und Obdachlosen, die es geschafft haben, ihre Situation zu verändern und wieder auf die Beine zu kommen. Darunter auch einige Berühmtheiten, die man aus der Schauspieler- und Künstlerszene kennt. Einige besonders herausragende Fälle haben es zudem auf die Kinoleinwand geschafft, wie Christopher Gardner, der mit seinem kleinen Sohn zusammen auch mal in öffentlichen Toiletten übernachtete und es später zum Selfmade-Millionär brachte.
Während eine tägliche Dusche für die meisten Menschen in unserer Gesellschaft normal ist, haben Wohnungslose diese Option nur eingeschränkt. Zum einen müssen sie sich vorhandene Sanitäranlagen in der Regel mit etlichen anderen teilen. Dazu kommt, dass die Benutzung von Duschen oft auch in speziellen Zeitfenster erfolgen muss – und dafür meist auch noch ein kleiner Betrag anfällt.Persönliche Wünsche, was Pflegeprodukte angeht, oder auch mal die Möglichkeit ein ausgedehntes Bad zu nehmen, spielen beim Angebot in der Regel zudem auch keine große Rolle. Durch Corona hat sich die Situation nochmal verschärft. So waren im März temporär etliche Orte geschlossen, an denen Wohnungslose sich sonst normalerweise duschen können.
Dass dies nicht stimmt, zeigt sich meist schon im persönlichen Gespräch. Das Leben auf der Straße ist belastend und wirkt sich auch nachweislich negativ auf die Gesundheit aus. Das ständige Übersehen werden, abfällige Kommentare und die eingeschränkten Möglichkeiten, sich aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zurückzuziehen, dürften Dünnhäutigkeit und Empfindlichkeit eher fördern – zumal sie oft eher die Regel als die Ausnahme sind. Man sollte sich immer fragen, wie man sich selbst fühlen würde, wenn man in einer derartigen Situation wäre und auf andere angewiesen ist. Würden die Meinungen anderer spurlos an einem abprallen?
Obwohl man vielen Menschen ihre wirtschaftliche Not oft auch am äußeren Erscheinungsbild, ihrer Art des Auftretens und an der Kleidung ansehen kann, ist dies oftmals auch nicht der Fall. So gibt es auch Wohnungslose, die im feinen Anzug und mit Aktenkoffer unterwegs sind, viel Wert auf ihr Äußeres legen und sich in der Öffentlichkeit selbstbewusst und ‚adäquat‘ bewegen. Schubladen-Denken greift auch hier mal wieder viel zu kurz.
Der Ansatz sollte hier ein anderer sein: die meisten Angebote sind extra niedrigschwellig eingerichtet, so dass diese Auswahl-Option oft gar nicht besteht. Auch unter den Wohnungs- und Obdachlosen finden sich Liebhaber von klassischer Musik und Literatur, die entsprechende Angebote sicher nutzen würden, wenn es sie gibt. Zudem würden sich etliche Wohnungslose sicher auch gerne aktiv im kreativen und künstlerischen Bereich engagieren, wenn sie die Möglichkeit und den Ort dazu hätten. Allerdings sind entsprechende Angebote rar gesät. Dazu kommt, dass das Leben durch die prekären Lebensumstände überschattet ist, was viel Energie kostet und abzieht.
Das ist leider nicht der Fall. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe schätzt, dass Kinder und minderjährige Jugendliche rund acht Prozent aller Wohnungslosen stellen. Die Zahl bezieht sich auf das Jahr 2018. Obwohl viele von diesen in Heimen und anderen Einrichtungen unterkommen, landen einige auch auf der Straße. Sie stehen unter anderem im Fokus der Off Road Kids Stiftung, die sich mit ihrem Engagement gezielt an diese Klientel richtet.
Eine wichtige Altersgrenze ist hier das Alter von 27 Jahren. Mit Erreichen dieses Lebensalters können sich die Ansprechpartner und zuständigen Institutionen und Anlaufstellen ändern, da junge Menschen dann unter die Gruppe der Erwachsenen fallen und ihnen Angebote, die sich ausdrücklich an jüngeres Klientel richten, damit versperrt sind.
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